15 Sep Erklärung des Präsidiums der Deutsch-Israelischen Gesellschaft zum Interfraktionellen Antragsentwurf “Nie wieder ist jetzt! Jüdisches Leben in Deutschland schützen, bewahren und stärken” und zu Israels Recht auf Selbstverteidigung
Die Deutsch-Israelische Gesellschaft ruft die Abgeordneten und Fraktionen des Bundestages auf, den Weg der interfraktionellen Einigung nun endlich zum Erfolg zu führen.
Wir fordern,
- die in den Entwürfen enthaltenen Maßnahmen gegen Antisemitismus und für jüdisches Leben nicht zu verwässern,
- nicht hinter den Bundestagsbeschluss „Der BDS-Bewegung entschlossen entgegentreten – Antisemitismus bekämpfen“ (BT-Drucksache 19/10191) zurückzufallen und
- bei der Bestimmung von antisemitischen Inhalten grundsätzlich die nicht rechtsverbindliche IHRA Arbeitsdefinition weiter zur Anwendung zu empfehlen.
Es braucht eine Resolution mit konkreten Maßnahmen, die den Schutz jüdischen Lebens verbessert und die Jüdinnen und Juden bei der Wahrnehmung ihrer Freiheiten unterstützt und stärkt.
Das Parlament darf sich nicht von Aufrufen einschüchtern lassen, die keinen einzigen Vorschlag zur Verbesserung des Schutzes jüdischen Lebens und zur Stärkung seiner Entfaltung machen, zur Beschränkung der Freiheiten von Jüdinnen und Juden durch das Allzeithoch des Antisemitismus schweigen, aber sich wortreich allein mit rechtlich fragwürdigen Argumentationen um die Freiheitspositionen der Antisemiten sorgen.
Dafür wurde ein Popanz aufgebaut: Angeblich drohen „Gewissensprüfung“1, „Zensur“2, „Grundrechtsverletzung“3, ein „Antisemitismus-Check“ für Kultureinrichtungen4 und die Wissenschaft5. Über Förderungen soll angeblich künftig der Geheimdienst entscheiden6. Nichts davon findet sich in den Antragstextentwürfen, dennoch hindert das nationale wie internationale Akademiker oder andere Aktivisten nicht, sich mit der Unterschrift unter solche Falschbehauptungen intellektuell zu blamieren.
1. Stärkung für jüdisches Leben
Es wurde kritisiert, dass nicht genug zur Stärkung für jüdisches Leben in dem Antrag getan wird7. Auch wenn es denen, die diesen Kritikpunkt vorbrachten, nicht so wichtig war, hier eigene konkrete Vorschläge zu machen, fordert die DIG hierzu:
- institutionelle Förderung der Jüdischen Studierendenunion (JSUD) und des Netzwerkes Jüdischer Hochschullehrender (NJH) aus dem Bundeshaushalt;
- einen Kulturfonds für jüdische, antisemitismuskritische und israelsolidarische Künstler:innen;
- Förderung der jüdischen Gegenwartsforschung, gerade auch jenseits der Judaistik und der jüdischen Studien;
- mehr Einbeziehung jüdischer Perspektiven in Entscheidungsgremien durch Vertreter:innen jüdischer Organisationen bei kulturpolitischen, wissenschaftlichen und medienbezogenen Gremien (z. B. Schiedsgerichte zur Rückgabe von NS-Raub-Kunst);
- Aufforderung an die Bundesländer, die 16 Feiertagsgesetze so weit anzupassen, dass Jüdinnen und Juden rechtssicher ohne Nachteile in Schule, Beruf oder Universität am Schabbat, Yom Kippur und den Yomim Tovim (ימים טובים) den halachischen Arbeitsruhegeboten nachkommen können8 (kostenneutral).
2. Entschlossenes Handeln gegen Antisemitismus ist dringend erforderlich
Gegen Antisemitismus brauchen wir Prävention, Intervention und Repression. Hierfür ist eine nachhaltige Förderung anti-antisemitismus-orientierter politischer Bildungsarbeit notwendig. Hier muss Nachhaltigkeit die Projekteritis ablösen9 und die zivilgesellschaftliche Gegenwehr gestärkt werden.
Ebenso notwendig ist die Aufnahme der Inhalte Antisemitismus, jüdische Geschichte, Religion und Kultur, Geschichte und Identität des Zionismus und des Staates Israel in die Curricula für Schule und die Ausbildungsprogramme von Staatsbediensteten und als Querschnittsthema an Hochschulen. Man kann bis heute eine komplette Bildungskarriere inklusive Hochschulabschluss absolvieren, ohne je mehr als die Shoah – also jüdischen Tod – erfahren zu haben. Dass es 1700 Jahre wechselhaftes jüdisches Leben in den nun deutschen Landen gegeben hat, ist trotz des Festjahres 2021 weitgehend unbekannt.
Es braucht aber auch klare gesetzgeberische Maßnahmen. Wir begrüßen, dass der Antragsentwurf betont, die Nationale Strategie gegen Antisemitismus und für jüdisches Leben ist vollständig und nachhaltig auszufüllen und umzusetzen und man sei dabei, „Gesetzeslücken zu schließen und repressive Möglichkeiten konsequent auszuschöpfen“.
Hierzu hat die Deutsch-Israelische Gesellschaft (DIG) in ihrer Bremer Erklärung10 eine Reihe von gesetzgeberischen Maßnahmen vorgeschlagen:
- Die Bundesregierung und die Landesregierungen sollen ihren Landesparlamenten Gesetzentwürfe vorlegen, die vorsehen, dass Antisemitismus finanziell nicht mehr mit öffentlichen Mitteln finanziert wird, indem die Haushaltsordnungen regeln, dass antisemitische, rassistische und sonstige menschenverachtende Konzepte sowie Inhalte, die mit der Menschenwürde nicht vereinbar sind oder gegen den Schutz der Menschenwürde, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung verstoßen, einer Zuwendung entgegenstehen.
- Die Gemeindeordnungen der Länder sowie die Landesverfassungen der Stadtstaaten Berlin, Hamburg und Bremen sollen den Gemeingebrauch ihrer Einrichtungen dem Schutz der Menschenwürde, der freiheitlich-demokratischen Grundordnung (fdGO) und dem Gedanken der Völkerverständigung widmen. Antisemitische, rassistische und andere menschenverachtende Konzepte sollen als Grund für den Ausschluss von der Nutzung öffentlicher Einrichtungen, die dem Gemeinwohl dienen, gelten.
- Die Auslöschungsdrohungen gegen Israel dürfen nicht länger straffrei bleiben. In § 103 StGB sollte geregelt werden, dass bestraft wird, wer zur Vernichtung eines Staates, der Mitglied der Vereinten Nationen ist, aufruft oder diese billigt. „Tod Israel“-Rufe wären dann straflos nicht mehr möglich. Strafbarkeitslücken im § 130 StGB sind zu schließen.
- Das Außenwirtschaftsrecht muss auch die Aufforderung zu antiisraelischen und rechtswidrigen Boykotterklärungen im Außenwirtschaftsverkehr verbieten und die Nötigung (Drohung mit einem empfindlichen Übel) zu Boykotthandlungen gegen Dritte unter Strafe stellen.
- Die Diskriminierung von Israelis soll im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) durch Aufnahme der Staatsangehörigkeit in die §§ 1 und 19 untersagt werden. Der Aufruf zu rechtswidrigen Diskriminierungen soll strafbar werden.
- Das Luftverkehrsrecht soll sicherstellen, dass Airlines, die keine Israelis befördern, auch keine Start- und Landeerlaubnis in Deutschland bekommen.
3. Antisemitismus klar benennen- die IHRA Definition implantieren
Die einzig allgemein anerkannte11 Antisemitismus-Definition ist die Arbeitsdefinition der IHRA12. Der Zentralrat der Juden in Deutschland, der Beauftragte der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und die Bekämpfung des Antisemitismus sowie die Bundesregierung und der Deutsche Bundestag haben die IHRA-Arbeitsdefinition als Bezugspunkt genommen, um Antisemitismus inhaltlich zu identifizieren. Der Bundestag wäre also gut darin beraten, an ihr festzuhalten.
Die IHRA-Arbeitsdefinition umfasst als einzige Antisemitismusdefinition antisemitische Worte und Taten sowohl gegen jüdische wie nichtjüdische (z. B. Rockefeller13, Bill Gates14 ) Einzelpersonen.
Die IHRA-Arbeitsdefinition Antisemitismus ist gerade bei der Frage des Umgangs mit Israel und Antisemitismus, anders als von ihren Kritiker:innen behauptet15, sehr differenziert. Die IHRA-Definition unterscheidet explizit zwischen Kritik an der israelischen Politik und Antisemitismus: „Erscheinungsformen von Antisemitismus können sich auch gegen den Staat Israel, der dabei als jüdisches Kollektiv verstanden wird, richten. Allerdings kann Kritik an Israel, die mit der an anderen Ländern vergleichbar ist, nicht als antisemitisch betrachtet werden.“16
Die Definition ist rechtlich nicht verbindlich. Eine Definition ist kein Computerprogramm, das mit einer mathematischen Formel mechanisch ein Ergebnis auswirft. Und keine Definition kann den Anwender:innen die Arbeit abnehmen, den Inhalt angesichts der sich äußernden Person, der Äußerung und des Äußerungskontextes zu interpretieren. Mit ihren Beispielen kann die Definition aber Verwaltungen, Polizei und Justiz ein hilfreiches Werkzeug zur Bestimmung antisemitischer Inhalte sein.
4. Ein klares Bekenntnis zu Israels Sicherheit
Die DIG ist der Bundesregierung dankbar, dass der Bundeskanzler wie die Außenministerin unmissverständlich deutlich gemacht haben, dass Israel nach dem genozidalen Massaker der Hamas vom 7. Oktober 2023 im Rahmen des Völkerrechts ein Recht auf Selbstverteidigung hat. Daran darf es jetzt auch kein Rütteln geben, seit der Iran und seine Proxys, seien es die Hisbollah, irakische und syrische Milizen oder die Huthis, Israel erneut existentiell bedrohen.
Wenn man das ernst meint, müssen unverzüglich alle Rüstungsexportanträge genehmigt werden, damit Israel sich gegen Hisbollah und Iran im Norden, wie gegen ihre Milizen in Syrien und im Irak in notwendiger Weise verteidigen kann. Hier darf die Bundesregierung sich weder vom antizionistischen Populismus des BSW noch von unverantwortlichen Berichterstattern an einem erstinstanzlichen Verwaltungsgericht das Heft des Handelns aus der Hand nehmen lassen. Hier muss man Haltung zeigen und seine Position aktiv politisch und rechtlich ggf. auch bis zum obersten erreichbaren Bundesgericht durchfechten.
Das eindeutige Bekenntnis zu Israels Sicherheit als deutscher Staatsräson in Wort und Tat heißt nicht, dass man bei Hinweisen auf Rechtsverstöße bei der Kriegsführung wegsieht. Es erfordert aber, dass man nicht jeder Propaganda der Hamas aufsitzt und dass man nicht vergisst, dass der Gaza-Krieg zu Ende wäre, wenn die Terroristen die Geiseln freigeben würden und die Terroristen kapitulierten.
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Bemerkungen zu den rechtspolitischen Forderungen:
a.) Strafbarkeitslücken schließen
Das Strafrecht ist ultima ratio und schärfstes Schwert von Staat und Politik zugleich. Davon ist mit Bedacht Gebrauch zu machen.
„Tod Israel!“-Rufe17 sind in Deutschland nicht strafbar, soweit sie nicht mit der ausdrücklichen Aufforderung zum Verbrechen der Aggression (§§ 111 StGB i. V. m. § 6 VStGB) oder mit der ausdrücklichen Billigung von terroristischen Straftaten (§140 StGB) einhergehen. Dennoch müssen einbürgerungswillige Ausländer:innen das Gegenteil beim Einbürgerungstest behaupten, wollen sie sich für den deutschen Pass qualifizieren18. Die Diskrepanz zwischen Rechtslage und Rechtsempfinden könnte nicht eklatanter sein. Ein deutlicher Hinweis auf eine Strafbarkeitslücke.
Schutzlücken bestehen darüber hinaus im Hinblick auf § 130 StGB in seiner derzeitigen Ausgestaltung. Dies betrifft u. a. den generellen Ausschluss ausländischer Gruppen („Tod den Israelis!“) aus dem Anwendungsbereich des § 130 Abs. 1 StGB.
Weitere Gesetzeslücken, die es zu schließen gilt, wurden oben unter 3. konkret19 benannt. Der Antragsentwurf bekennt sich richtigerweise „Gesetzeslücken zu schließen“. Der Fokus sollte allerdings nicht allein auf dem Strafrecht und dem Aufenthalts-, Asyl- und Staatsangehörigkeitsrecht liegen, sondern das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz wie das Außenwirtschaftsrecht ausdrücklich mit einbeziehen.
b.) Kein Geld für Antisemitismus! Bundeshaushaltsordnung ändern! schließen
Antisemitische oder auf rassistische Diskriminierung zielende Konzepte sind mit der Menschenwürde nicht vereinbar und verstoßen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, sagt das Bundesverfassungsgericht20.
Der Schutz und die Achtung der Menschenwürde ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. Die Bundeshaushaltsordnung bindet die Zuwendung an Stellen außerhalb der Bundesverwaltung zur Erfüllung bestimmter Zwecke an die Voraussetzung, dass „der Bund an der Erfüllung durch solche Stellen ein erhebliches Interesse hat, das ohne die Zuwendungen nicht oder nicht im notwendigen Umfang befriedigt werden kann.“ (§ 23 BHO)21 Ein solches erhebliches Interesse muss doch ausscheiden, wenn bei der Erfüllung bestimmter Zwecke durch Stellen außerhalb der Regierung zentrale Verfassungsgüter wie Menschenwürde, freiheitlich demokratische Grundordnung oder der Gedanke der Völkerverständigung gefährdet oder eine mehr oder minder aggressive feindliche Haltung gegenüber diesen elementaren Grundsätzen der Verfassung eingenommen wird, oder eben antisemitische, rassistische oder sonstige menschenverachtende Inhalte und Konzepte verbreitet werden.
Der Bundesgerichtshof hat festgestellt, dass antisemitische Kunst den Geltungs- und Achtungsanspruch “eines jeden in Deutschland lebenden Juden” angreifen kann und diese einen Beseitigungsanspruch auf den davon ausgehenden rechtsverletzende Zustand haben.22 Es wäre widersinnig, ginge man davon aus, dass der Staat etwas finanzieren müsste, was dann zu beseitigen wäre.
Im Antragsentwurf sollte man auf jeden Fall daran festhalten, entsprechend der Gemeinsamen Erklärung der Kulturministerkonferenz, der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien und der kommunalen Spitzenverbände vom 13. März 2024 „rechtssichere Regelungen [zu] erarbeiten, die darauf abzielen, dass keine Projekte und Vorhaben gefördert werden, die antisemitische, rassistische oder andere menschenverachtende Ziele verfolgen.“23
In der Debatte um sogenannte Antisemitismusklauseln gab es überhitzte und polarisierende Beiträge und Forderungen von Befürworter:innen wie Gegner:innen, die die Debatte erschweren. Hans Michael Heinig hat zu Recht geraten, das „Recht als eine Art Kühlaggregat“24 hier einzusetzen. Das Recht lässt keine totalen Lösungen zu, sondern zwingt im Einzelfall immer wieder zur Abwägung. Insofern ist auch Christoph Möllers insoweit zuzustimmen, wenn er konstatiert: „Wir sollten uns von der Idee befreien, dass dieser Konflikt im Ganzen lösbar ist. Er ist aber einhegbar, und in dieser Beschränkung seiner Lösbarkeit lehrreich.“25
Deshalb gilt es einige Punkte festzuhalten:
- Der freiheitlich demokratische Staat erzwingt keine Werteloyalität. Förmliche Bekenntnisse26, zumal zu rechtlich unbestimmten und nebulösen Formeln wie der „einer vielfältigen Gesellschaft,27“ darf der Staat grundsätzlich nicht verlangen und auch nicht zur Voraussetzung der Gewährung von Zuwendungen oder anderen Vorteilen machen.
- Dass im Zuwendungsrecht verlangt wird, im Rahmen der geförderten Tätigkeit zentrale Verfassungsgüter wie Menschenwürde, fdGO und den Gedanken der Völkerverständigung zu beachten und antisemitische, rassistische oder sonstige menschenverachtende Inhalte von der Zuwendung auszuschließen dürfte nicht zu beanstanden sein.28 Auch Möllers hält derartige Regelungen für zulässig.29
- Es bedarf dafür allerdings eines allgemeinen Gesetzes wie etwa der Bundeshaushaltsordnung. Eine allgemeine Regelung hat gegenüber einer bereichsspezifischen Regelung den Vorteil, dass damit kein besonderer Verdacht gegen einen bestimmten Bereich zum Ausdruck gebracht wird.
- Solche einschränkenden Regelungen sind auch durchaus üblich: Im Parteiengesetz (§ 18 Abs. 7 PartG), im Stiftungsfinanzierungsgesetz (§ 2 Abs. 4 StiftFinG) und auch im Entwurf des Demokratiefördergesetzes (§ 5 DFördG) gibt es entsprechende Vorgaben.
- Grundsätzlich gibt es kein Recht auf Zuwendungen. Ein solches Recht folgt weder aus der Wissenschafts- noch aus der Kunstfreiheit.30 Gerade wenn man es ernst damit meint, dass das Strafrecht nur ultima ratio sein soll, darf dem Gesetzgeber das Recht zur Differenzierung diesseits der Strafbarkeit, im Zuwendungsrecht, nicht versagt bleiben, wenn es den Schutz von verfassungsrechtlichen Schutzgüter dient.
- Der Vorschlag31, dem Verfassungsschutz bei der Bewilligung von Zuwendungen eine besondere Rolle zuzubilligen, ist aus zwei Gründen abwegig: Die meisten Zuwendungsempfänger:innen dürften nicht in den Aufgabenbereich der Verfassungsschutzämter fallen, auch wenn sie antisemitische Inhalte produzieren sollten. Das ändert auch nicht die Aufnahme der BDS-Bewegung als Verdachtsfall in den neuen Verfassungsschutzbericht32. Außerdem ist mit dem Vorschlag die falsche Vorstellung verbunden, dass Antisemitismus nicht das Problem der Gesellschaft sei, sondern nur ihrer Ränder.
- In der Zuwendungspraxis hat man rechtliche und praktische Erfahrung beim Umgang mit Verstößen gegen Zuwendungsauflagen. Im Streitfall steht der Weg vor die Verwaltungsgerichte offen. Nicht in jedem Fall wird ein Verstoß zur Rückforderung der Zuwendung führen. Es wird auch darauf ankommen, wie die Zuwendungsempfänger:innen mit einem Problem umgehen (vgl. das Urteil des BGH zur historischen Darstellung der Wittenberger “Judensau”). Die gegen eine Umsetzung vorgebrachten technischen Einwände33 sind daher gegenstandslos.
- Grundsätzlich wird man auch auf den Inhalt des Projektes, das mit der Zuwendung gefördert wird, abstellen müssen. Eine in der Vergangenheit liegende Unterschrift unter einem BDS-Aufruf etwa wird als Grund für einen Ausschluss einer Person oder antragsstellenden Stelle aus einer Förderung womöglich nicht ausreichen. Etwas Anderes ist es, wenn es um die Besetzung von Positionen geht, die bei ihrer Tätigkeit die Wissenschafts- und Kunstfreiheit zu wahren haben. Bei einer Unterschrift unter einem BDS-Aufruf wird man – zumindest widerleglich – davon ausgehen dürfen, dass eine Person nicht nach objektiven fachlichen Kriterien auswählt, sondern israelische Künstler:innen oder Wissenschaftler:innen unabhängig von deren Leistungen immer ausschließen wird. Damit ist sie für eine auswählende Position wie z. B. als Kurator:in nicht qualifiziert.
1 Raoul Löbbert, Eine etwas andere Gewissensprüfung, in: Die Zeit, online zuletzt abgerufen am 12.08.2024, https://www.zeit.de/kultur/2024-07/bundestag-resolution-antisemitismus-schutz-juedisches-leben-verfassungsschutz/komplettansicht
2 Ronen Steinke, So wird Zensur gefördert, in: Süddeutsche Zeitung, online zuletzt abgerufen am 12.08.2024, https://www.sueddeutsche.de/kultur/jerzy-montag-bundestag-kampf-gegen-antisemitismus-kritik-lux.DuLgEwSRAUFpXLV3fyYYxN.
3 Pauline Jäckels, Grundrechtsverletzung durch die Hintertür, in: nd, online zuletzt abgerufen am 12.08.2024, https://www.nd-aktuell.de/artikel/1183877.resolution-zum-schuetz-juedischen-lebens-grundrechtsverletzung-durch-die-hintertuer.html?sstr=pauline.
4 Stephanie Rohde, Interview mit Jerzy Montag, in: Deutschlandfunk, online zuletzt abgerufen am 12.08.2024, https://bilder.deutschlandfunk.de/86/0f/9c/b0/860f9cb0-b908-4c07-a652-f41e2fcbb139/interview-montag-240727-100.pdf.
5 Stephan Detjen, Gewissensprüfung? Zum Bundestags-Entwurf für eine Resolution gegen Antisemitismus, in: Deutschlandfunk, online zuletzt abgerufen 12.08.2024 [Audio-Beitrag], https://www.deutschlandfunk.de/gewissenspruefung-zum-bundestags-entwurf-fuer-e-resolution-gegen-antisemitismus-dlf-9b98ccea-100.html.
6 Pauline Jäckels, Kunst- und Wissenschaftsfreiheit adé, in: nd, online zuletzt abgerufen am 12.08.2024, https://www.nd-aktuell.de/artikel/1183863.resolution-gegen-antisemitismus-kunst-und-wissenschaftsfreiheit-ade.html.
7 Ronen Steinke, So wird Zensur gefördert, in: Süddeutsche Zeitung, online zuletzt abgerufen am 12.08.2024, https://www.sueddeutsche.de/kultur/jerzy-montag-bundestag-kampf-gegen-antisemitismus-kritik-lux.DuLgEwSRAUFpXLV3fyYYxN.
8 Volker Beck (Hg.), Gut Schabbes? Chag Sameach! Religionsfreiheit und Respekt für die Arbeitsruhe an Schabbat und jüdischen Feiertagen, Dokument des Tikvah Institut, Nr. 1, Leipzig, 2023.
9 Leticia Witte, Zentralrat: Fehlende Förderung für Initiativen kein gutes Zeichen, in: Jüdische Allgemeine, online zuletzt abgerufen am 12.08.2024, https://www.juedische-allgemeine.de/politik/zentralrat-der-juden-fehlende-foerderung-fuer-initiativen-kein-gutes-zeichen/#:~:text=Das%20Demokratiefördergesetz%20soll%20eigentlich%20zivilgesellschaftlichen,einer%20»wehrhaften«%20Demokratie%20stärken.
10 Bremer Erklärung, Hauptversammlung der DIG e.V. am 08./09.06.2024, online zuletzt abgerufen am 12.08.2024, https://www.deutsch-israelische-gesellschaft.de/dig/beschluesse/leitantrag-des-praesidiums-der-dig-e-v-zur-hauptversammlung-am-08-06-2024-bremer-erklaerung/.
Die Vorschläge werden erläutert unter: Volker Beck (Hg.), Mögliche juristische und rechtspolitische Antworten auf BDS, Dokument des Tikvah Institut, Nr. 2, Leipzig, 2023, S. 8-43. https://www.hentrichhentrich.de/buch-moegliche-juristische-und-rechtspolitische-antworten-auf-bds.html.
11 Bundesverband RIAS, Handbook for the practical use of the IHRA working definition of antisemitism, in: Puclications Office of the European Union, Louxemburg, 2021, online zuletzt abgerufen am 12.08.2024, https://op.europa.eu/en/publication-detail/-/publication/d3006107-519b-11eb-b59f-01aa75ed71a1/language-en.
12 Arbeitsdefinition von Antisemitismus, in: Internetseite der International Holocaust Rememberance Alliance (IHRA), online zuletzt abgerufen am 12.08.2024, https://holocaustremembrance.com/resources/arbeitsdefinition-antisemitismus.
13 Rockefeller wird oft als jüdischer Banker phantasiert, siehe dazu: Katja Thorwarth, Lisa Fitz und die “Drachenreiter” der Rothschilds, in: Frankfurter Rundschau, online zuletzt abgerufen am 12.08.2024, https://www.fr.de/meinung/lisa-fitz-drachenreiter-rothschilds-10979411.html.
14 Gates wurde im Zuge der Coronapandemie als Profiteur und Strippenzieher der Pandemie verunglimpft, siehe dazu: Tessa Högele, Hass auf jüdische Menschen: Warum viele Corona-Verschwörungen antisemitisch sind, in: ze.tt, online zuletzt abgerufen am 12.08.2024, https://www.zeit.de/zett/politik/2020-05/warum-verschwoerungserzaehlungen-so-oft-antisemitisch-sind-corona-juden-pandemie-hygienedemo.
15 Die sogenannte JDA ist eine politische Erklärung, keine Definition. Sie nutzt den Ort Jerusalem im Namen als token, weil die Ernst-Reuter-Platz-Erklärung weniger glamourös geklungen hätte. Wo welche Teile der Definition tatsächlich geschrieben wurden, wird noch zu erforschen sein. Hinweise dazu gibt es hier: Peter Ullrich, Arbeitsdefinition Antisemitismus, Jerusalem Declaration, Nexus-Dokument, in: Peter Ullrich et al.: Was ist Antisemitismus? Begriffe und Definitionen von Judenfeindschaft, Band 8, Göttingen, 2024, 68-78.
16 Arbeitsdefinition von Antisemitismus, in: Internetseite der International Holocaust Rememberance Alliance (IHRA), online zuletzt abgerufen am 12.08.2024, https://holocaustremembrance.com/resources/arbeitsdefinition-antisemitismus.
17 Siehe dazu: Hasso Suliak, Aufruf zur Auslöschung Israels straflos, in: Legal Tribune Online, online zuletzt abgerufen am 12.08.2024, https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/israel-aufruf-vernichtung-existenzrecht-leugnen-antisemitismus-strafbar; Michael Kubiciel, Schriftfassung der Stellungnahme in der öffentlichen Anhörung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages am 15.1.2023 betreffend den Entwurf der Fraktion CDU/CSU eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches zur Bekämpfung von Antisemitismus, Terror, Hass und Hetze (BT-Drs. 20/9310), in: Internetseite des Deutschen Bundestags, online zuletzt abgerufen am 12.8.2024, https://www.bundestag.de/resource/blob/986252/68a33b23778287dbe5e8ab2a2552ee1b/Stellungnahme-Kubiciel.pdf; Marie Hoven, Sachverständigenanhörung zu BT Drs. 20/9310 – Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches zur Bekämpfung von Antisemitismus, Terror, Hass und Hetze, in: Internetseite des Deutschen Bundestags, online zuletzt abgerufen am 12.8.2024, https://www.bundestag.de/resource/blob/985960/360167b9cdbffe9a65271f8d6d87cd71/Stellungnahme-Hoven.pdf.
18 Siehe dazu Verordnung zu Einbürgerungstest und Einbürgerungskurs (Einbürgerungstestverordnung – EinbTestV) [Lösung unterstrichen]: “Frage 111 Einbürgerungstest:
Welche Handlung mit Bezug auf den Staat Israel ist in Deutschland verboten?
☐ die Politik Israels öffentlich kritisieren
☐ das Aufhängen einer israelischen Flagge auf dem Privatgrundstück
☐ eine Diskussion über die Politik Israels
☐ der öffentliche Aufruf zur Vernichtung Israels”.
Online zuletzt abgerufen am 12.08.2024, in: Internetseite des Bundesministeriums der Justiz, https://www.gesetze-im-internet.de/einbtestv/BJNR164900008.html.
19 Für konkrete Gesetzesvorschläge siehe: Volker Beck (Hg.), Mögliche juristische und rechtspolitische Antworten auf BDS, Dokument des Tikvah Institut, Nr. 2, Leipzig 2023, S. 8-43.
20 BVerfG, Urteil des Zweiten Senats v. 17. Januar 2017 (2. NPD-Urteil) – 2 BvB 1/13 – Rn. 541.
21 Gröpl BHO/LHO Kommentar. 2. Aufl., 2019. § 23 Rn. 5.
22 Bundesgerichtshof, Urteil vom 14. Juni 2022 – VI ZR 172/20; Leitsatz a.) und b.), Rn. 9-16.
23 Gemeinsame Erklärung der Kulturministerkonferenz, der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien und der kommunalen Spitzenverbände, in: Internetseite der Ständige Konferenz der Kulturminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland, online zuletzt abgerufen am 12.08.2024, https://www.kmk.org/aktuelles/artikelansicht/gemeinsame-erklaerung-der-kulturministerkonferenz-der-beauftragten-der-bundesregierung-fuer-kultur-un.html.
24 Hans Michael Heining, Welche Grenzen darf der Staat setzen, in: Die Zeit, online zuletzt abgerufen am 12.08.2024, https://www.zeit.de/kultur/2024-08/antisemitismus-bundestag-resolution-schutz-des-juedischen-lebens-deutschland.
25 Christoph Möllers, Eine absurde Wahl, in: Der Spiegel, online zuletzt abgerufen am 12.08.204, https://www.spiegel.de/kultur/eine-absurde-wahl-a-4cc6c2d7-8ded-4533-b5b8-4336d2bbd3ae.
26 So sollten das die Förderrichtlinien in Berlin vorsehen: Rüdiger Schaper, Chialo-Erlass gegen Antisemitismus: Berlins Kultureinrichtungen bekommen neue Förderrichtlinien, in: Tagesspiegel, online zuletzt abgerufen am 12.08.2024, https://www.tagesspiegel.de/kultur/chialo-erlass-gegen-antisemitismus-berlins-kultureinrichtungen-bekommen-neue-forderrichtlinien-11006422.html. So auch wieder: Gesetzentwurf der Fraktionen von CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Landeshaushaltsordnung Schleswig-Holstein. Schleswig-Holsteinischer Landtag, Drucksache 20/2321.
27 Wer soll denn zu dieser Vielfalt gehören? Zur tatsächlich vorhandenen gesellschaftlichen Vielfalt gehören ja Hamas-An- hänger wie Nazis. Gemeint ist wahrscheinlich eine Art Bekräftigung der Werte des Artikel 3 Grundgesetz. Dies ist aber auch mit der Beteuerungsklausel in Schleswig-Holstein nicht gelungen.
28 Dies sieht auch Möllers.
29 Christoph Möllers, Zur Zulässigkeit von präventiven Maßnahmen der Bekämpfung von Antisemitismus und Rassismus in der staatlichen Kulturförderung, in: Internetseite FragdenStaat.de, online zuletzt abgerufen am 12.08.204, S.15 – 22, https://media.frag-den-staat.de/files/foi/912623/gutachtenmllers-2024-bkm.pdf.
30 So auch Heinig, siehe dazu: Hans Michael Heining, Welche Grenzen darf der Staat setzen, in: Die Zeit, online zuletzt abgerufen am 12.08.2024, https://www.zeit.de/kultur/2024-08/antisemitismus-bundestag-resolution-schutz-des-juedischen-lebens-deutschland und Hans Michael Heining, Kein Grundrecht auf Zuwendungen für antisemitische und rassistische Kunstwerke, in: Verfassungsblog, online zuletzt abgerufen am 12.08.2024, https://verfassungsblog.de/kein-grundrecht-auf-zuwendungen-fur-antisemitische-und-rassistische-kunstwerke/.
31 Justizsenatorin – Keine Fördergelder an Verfassungsfeinde, in: Jüdische Allgemeine, online zuletzt abgerufen am 12.08.2024, https://www.juedische-allgemeine.de/politik/justizsenatorin-keine-foerdergelder-an-verfassungsfeinde/ https://www.sueddeutsche.de/kultur/felor-badenberg-berlin-demokratieklausel-lux.TWtJoF5g3wGtqUtaQ6JCTu.
32 Verfassungsschutzbericht 2023, in: Bundesministerium des Innern und für Heimat, online zuletzt abgerufen am 12.08.2024, https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/downloads/DE/publikationen/themen/sicherheit/vsb2023-BMI24018.pdf?__blob=publicationFile&v=10, S. 56 f.
33 Siehe dazu beispielsweise Christoph Möllers, Eine absurde Wahl, in: Der Spiegel, online zuletzt abgerufen am 12.08.204, https://www.spiegel.de/kultur/eine-absurde-wahl-a-4cc6c2d7-8ded-4533-b5b8-4336d2bbd3ae; Freiheit der Kunst sichern – Antisemitismus und Rassismus im Kulturbereich bekämpfen, in: Internetseite des Deutschen Kulturrats e. V., online zuletzt abgerufen am 12.08.2024, https://www.kulturrat.de/positionen/freiheit-der-kunst-sichern-antisemitismus-und-rassismus-im-kulturbereich-bekaempfen/.