Stellungnahme zur gegenwärtigen Lage in Israel

Begründet und legitimiert durch den Beschluss der Vereinten Nationen, das frühere britische Mandatsgebiet Palästina in zwei selbständige Staaten zu teilen, hat die jüdische Gemeinschaft im Mai 1948 den jüdischen demokratischen Staat Israel gegründet.

Israel ist ein jüdischer Staat, weil und insofern er gewährleistet, dass die Juden hier sicher sein können, dass sie in ihrer Tradition, ihrer Kultur, ihrer Religion selbstbestimmt, ohne Verfolgung und Diskriminierung leben können; dass sie sicher sein können, dass sie nicht mehr unterdrückt, verfolgt und getötet werden, allein weil sie Juden sind. Weil und insofern die Juden in aller Welt sicher sein können, dass Demokratie, Recht und staatliche Souveränität sie in Israel schützen.

Israel ist ein demokratischer Staat, indem die Unabhängigkeitserklärung „all seinen Bürgern ohne Unterschied von Religion, Rasse und Geschlecht, soziale und politische Gleichberechtigung verbürgt“; und weil beim Aufbau des Staates die notwendigen Regeln und Institutionen zur Umsetzung geschaffen wurden. Institutionen, die auch benachteiligten Gruppen die Möglichkeit eröffnen, sich gegen noch vorhandene Ungleichbehandlungen zur Wehr zu setzen.

Demokratie ist nicht nur die Entscheidung nach Mehrheit und Minderheit.
Demokratie ist ebenso unabdingbar der Schutz der Menschenrechte auch von Minderheiten, Gewaltenteilung und Checks and Balances; Wahrung der Unabhängigkeit der Justiz, Schutz der Medienvielfalt. Demokratie bedeutet auch, dass die Opposition immer die Möglichkeit haben muss, mit Erfolg um einen Wechsel der Mehrheiten kämpfen zu können. All das meinen wir als Freunde Israels, wenn wir zu Recht das Land als die einzige Demokratie im Nahen Osten hervorgehoben haben und unhaltbaren Denunziationen als „Apartheidstaat“ usw. immer entgegengetreten sind. Menschenrechte, Achtung des Selbstbestimmungsrechts, Demokratie: All das hat Israel immer mit seinen Unterstützern und Freunden in aller Welt verbunden.

Aus diesen Gründen nehmen wir mit großer Sorge wahr, dass die Politik der gegenwärtigen Regierung eine Entwicklung in Gang setzt, die die Demokratie in Israel gefährden und möglicherweise schwer korrigierbar beschädigen könnte. Die „Justizreform“ würde die Unabhängigkeit der Justiz so schwächen, dass sich eine einfache Parlamentsmehrheit über grundlegendes Recht hinwegsetzen könnte. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk sollte geschwächt und an die kurze Leine genommen werden. Der Versuch, die Todesstrafe – allein für Palästinenser – einzuführen, ist in mehrfacher Hinsicht mit unserer Auffassung von Menschenwürde nicht vereinbar.

Das gesamte Westjordanland wird zum „jüdischen Besitz“ erklärt, rassistische Hetze von Regierungsmitgliedern geduldet. All das trägt nicht zur Beruhigung der Lage und damit der Sicherheit und dem Schutz der Menschen bei.

Gegen diese Politik hat sich in Israel inzwischen eine breite und starke Bewegung für den Schutz der Demokratie entwickelt, im Parlament, in den Hochschulen, in der Justiz und im Militär, in Massenprotesten auf der Straße. Das Zeichen dieser Bewegung ist die blau-weiße Flagge ihres Landes, es ist eine patriotische Bewegung für das jüdische und demokratische Gemeinwesen. Die israelische Demokratie ist lebendig und in der Gesellschaft verwurzelt, aber die Konfrontationen werden schärfer. Die Regierung ist entschlossen, den entscheidenden ersten Schritt umzusetzen, die Beschneidung der Unabhängigkeit der Justiz, um dann weitere Schritte folgen lassen zu können.

Diese Zuspitzung geschieht in einer Situation, in der die Bedrohung durch den Iran und seinen Verbündeten rings um Israel noch akuter geworden ist. Der Zusammenhalt und die Kraft Israels zur Verteidigung, auch die Unterstützung der Verbündeten, könnten durch die Regierungspolitik geschwächt werden.

Auch deshalb sehen wir es als Pflicht der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, der Freunde Israels, die Bewegung zum Schutz der Demokratie in Israel zu unterstützen. Zu unterstützen, indem wir gerade als Freunde des Landes und seiner Menschen unsere Kritik hier in Deutschland öffentlich äußern. Die Menschen in Israel sollen wissen, was wir denken. Das ist keine „Einmischung“, sondern Ausdruck unserer tiefen Verbundenheit mit dem Staat, dessen Wunder einer 75jährigen Entwicklung trotz permanenter Bedrohung seiner Existenz wir in diesem Jahr feiern können. Und das ist auch der beste Weg, den Verleumdungen derjenigen entgegenzutreten, für die Israel schon vom ersten Tag an ein „Fehler“ war.

 

Hermann Kuhn, Vorsitzender der DIG Bremen/Unterweser e.V., 10. März 2023